23.11.06

Andrzej Stasiuk beim Polenmarkt - Nachlese Teil 2

Freitagabend, 17. November. Die Übersetzerin liest die deutsche Fassung von “Unterwegs nach Babadag“, während Stasiuk ruhig neben ihr sitzt. Die Übersetzung hat einen ganz eigenen Klang, einen eigenen Rhythmus, die hier Schreibende würde gerne Polnisch verstehen, um die Qualität beurteilen zu können: aber wenn man aus dem hörbaren Rhythmus, aus dem stimmigen Klang schließen darf, scheint die Übersetzung gelungen.

In den toten Mittagslandschaften treffen wir mit dem Reisenden auf lebhafte Kinder, Zigeunerkinder, die im Dorf ihre Zelte aufschlagen, als sei es das freie Feld, die den Reisenden durch das Dorf führen, als sei es das ihre, die Äpfel von Bäumen essen, die sie nicht gepflanzt haben, und die mit ihrer Lebensart vielleicht als einzige überleben weden ... an dieser Stelle fragen sich manche aus dem Publikum, ob hier genaue Beobachtung oder Klischees und Kategorisierung am Werk sind. Vielleicht ist dieser kritische Blick die westeuropäische, intellektuelle Perspektive?

Die Nachmittage jedenfalls riechen nach Dünger und nach Resignation, die Uhren drehen sich vergebens, man folgt den Worten bis „an den Rand der Nacht, wo sich die Dunkelheit wie fette, dunkle Milch herab von den Bergen ergießt“ (aber das kommt später, in den Galizischen Geschichten) in dieser archaischen Welt des Untergangs. Poetisch schreibt er, dieser Stasniuk, wie man es nach den Feuilleton-Berichten nicht erwartet hätte, man fühlt sich an wenig erinnert manchmal an den magischen Realismus, dazu passen die Geister, die in den Galizischen Geschichten auftauchen, die Geister, mit denen, wie Stasniuk sagt, er aufgewachsen sei, die zur Welt seiner Großmutter gehörten. Aus dieser Welt scheint der Autor bis heute zu schöpfen.

„Wie ist das hier?“ fragt er ins Publikum „Glauben Sie auch an Geister?“
Wenn Stasiuk spricht, werden Stimme und Augen lebendig, er nimmt Kontakt mit den ZuhörerInnen auf. Er kommt auf Galizien zu sprechen, ein Thema, sagt er, „wie geschaffen für seine melancholische Seele“. Die galizischen Geschichten, sagt wiederum Schmidtgall, stellten einzelne, sehr plastisch gezeichnete Gestalten in den Mittelpunkt, da haben wir es wieder, sagt die Rezensentin, das Plastische vereint mit dem Poetischen, wie wir gleich hören werden, in der Geschichte vom Knochenmann, der später als Geist wieder auftauchen wird.

Stasniuk liest erneut mit dieser sehr leisen Stimme, das Publikum ist so still, dass man die berühmte Stecknadel undsoweiter, und es schleicht sich der Gedanke ein: Wenn doch die Studenten nur einmal so hingerissen zuhören würden, aber dazu müsste man wohl Literatur lesen und keine wissenschaftlichen Gebäude errichten – aber zurück zu Stasniuk, der mit seinem Text zu sprechen scheint, während das Publikum gebannt zuhört. Wieder der monotone Klang, aber als er beginnt, auch mit seinen kräftigen Händen zu sprechen, ist Intensität zu spüren.

In den Galizischen Geschichten findet sie sich, die viel zitierte Stasniuksche Männerwelt, da wird hart gearbeitet, da werden Tiere geschlachtet, ganz präzise und kühl wird das beschrieben, wie der Knochenmann fein säuberlich, ordentlich, Haut, Fleisch, Knochen und Innereien auseinandersortiert, eine „einfache präzise Analyse des Seins“. Aber das erfahren einige im Publikum erst, als die Übersetzerin liest. Wir tauchen ein in diese Welt von Messern, Alkohol und Blut, aber da ist auch das „zarte Klirren“ der gefrorenen Sterne“ zu hören. Rauh und poetisch ist diese Welt mit ihren archaischen Figuren: Man wird wohl nicht umhin können, mehr zu lesen.