22.11.06

Polenmarkt, Eröffnungs-Nachlese: Stasiuk

1200 Kilometer weit ist Andrzej Stasiuk gereist, um nach Greifswald zu kommen und dem Auftakt des Polenmarkts Glanz zu verleihen.
Gespannte Stille nach der Eröffnungsrede von Professor Lübke, als Stasniuk die Treppe von der Galerie heraufkommt, mit seiner Begleitung in den kleinen Saal tritt, wobei er aus irgendeinem Grund die Nase rümpft. Vielleicht wegen des lebhaften Kindergeschreis, das just jetzt durchs offene Fenster dringt: „Ich glaube, da protestieren ein paar Kinder gegen die Lesung“, sagt er wenig später.
Stasiuk zeigt Humor, wirkt entspannt, hat, sobald er spricht, eine unglaubliche Präsenz. Nimmt Bezug auf die Einführungsrede von Michael Düring und macht gleich als Erstes drauf aufmerksam, dass er den in der Rede erwähnten Essay gegen den polnischen Einsatz im Irakkrieg gegen Geld geschrieben habe, für 300 Euro habe er sein Land verraten, scherzt er ....
Meine Nachbarin ist bereits im akustischen Nirwana, so eine voll klingende Stimme hat Herr Stasiuk, und wir erfahren, dass wir Texte hören werden von ursprünglichen Landschaften mit ganz konkreten Menschen, die Verlierer sind. Stasiuk will, so sagt er bzw. seine Übersetzerin Renate Schmidgall, den Raum von untergehenden Landstrichen in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien den Lesern öffnen, er schreibe Texte über Verlust, über Prozesse der Geschichte. “Unterwegs nach Babadag“ sei ein Text über seine Lieblingslandschaften in Europa: die verlorenen, sich verlierenden.

Während Stasniuk seinen polnischen Text liest, versucht die des Polnischen nicht mächtige Bloggerin sich vorzustellen, was da beschrieben wird, versucht, die weich klingenden Laute in Bilder umzusetzen. Was sie sieht: eine weite Landschaft, menschenleer, in einer anderen, von der unsrigen losgelösten Zeit, voller Melancholie.

Stasniuk liest leise, fast monoton, tonlos, losgelöst vom Publikum, verhalten, das entspricht nicht dem von den Medien verbreiteten Bild, Stasniuk ist in sich, in den Text gekehrt. Manchmal lachen des Polnischen Kundige, die andern bleiben im Dunkeln. Aber dann, dank der Übersetzerin Renate Schmidgall, die letztes Jahr schon mit Pawel Hülle da war, taucht jetzt auch vor den Nicht-Polnisch-Verstehenden eben jene Landschaft auf, die aus dem Polnischen herausklang, in der Tat weit, verlassen, aber jetzt wird sie plastischer, es kommen die „verblichenen Gräser“ dazu, die sengende Sonne, der Gestank des Schafmists, Dörfer in lehmgelbem Staub, Dorfstraßen, in denen die Tore zu den Höfen geschlossen bleiben, vielleicht „aus Angst vor der riesigen Weite“, aber die „Zukunft lässt sich nicht mit der Weite des Raums verwechseln“ (Zitate aus meinen Notizen, also nicht 100%ig genau wahrscheinlich).
Es sind Dörfer mit Kneipen, in denen Männer wort- und regungslos Bier trinken, in denen die Zeit still steht, in denen der Wirt „die Zeit aufsaugt wie ein Schwamm“, in denen die Menschen auf die Zukunft warten, aber sie kommt nicht: „Terra deserta“.

Stasniuk beschreibt die Wirklickeit dieser Landschaften nicht nur genau, spondern er verbindet diese Beschreibungen mit dichten, poetischen Bildern. Verlorene, bereits verblichene Welten scheinen auf, die Dinge werden dastehen, heißt es, „bis zur sanften Dematerialsierung“.

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