5.3.09

E. Braslavsy: Die Konservierung der Arten

Bild: Noam Braslavsky

Vor einigen Tagen schon angekündigt, jetzt endlich im Blog: Die Konservierung der Arten, ein Text, den Emma Braslavsky für das Ostseeblog geschrieben hat. Wir danken.

Die Konservierung der Arten
von Emma Braslavsky


Auf der Homepage der Robert Bosch Stiftung (die die Recherche zu „Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik“ gefördert hat) habe ich über den Initialgedanken zur Romanidee geschrieben. Jetzt will ich über den Ausgangspunkt meiner Expedition selbst schreiben, der in eigenartiger Weise sinnstiftend für diese zehn Tage Recherche in Schlesien war.

Alles begann in Amazonka, unweit von Przemków (ehemals Primkenau). Offiziell ist Amazonka eine agrotouristische Farm, ein Gasthaus mit angeschlossenen Pferdeställen, einem See und wildem Wald. Und weil sie auch das einzige bezahlbare Gasthaus weit und breit zu sein schien, beschlossen wir dort zu übernachten. Es war noch hell, als wir eintrafen. Die Taschen ließen wir zunächst unten im Büro, weil der Inhaber, nennen wir ihn Mateusz, uns anbot, mit ihm im Sonnenuntergang reiten zu gehen. Über meine leidigen Reiterfahrungen will ich lieber nicht schreiben und auch darüber nicht, dass meine Stute launisch und langsam war. Er redete über Tiere, über die Vielfalt und Besonderheit und über das Aussterben. Sein Englisch-Polnisch-Deutsch verriet, dass er zwar nicht sehr sprachbegabt, aber viel gereist war. Unter stockdusterem Himmel erreichten wir endlich wieder Amazonka. Mein Rücken schmerzte fürchterlich. Wir aßen und tranken viel und waren todmüde, als wir endlich mit unserem Gepäck die Zimmer bezogen. Mateusz leuchtete uns mit der Taschenlampe die Holztreppe hinauf. Die Sicherung am Stromkasten war verschwunden, es gab hier im Augenblick nur Tageslicht, ansonsten Kerzen im Zimmer, hatte er uns erklärt. Ich glaube, ich wünschte noch eine „Gute Nacht“, bevor ich wie ein Stein aufs Bett fiel.

Ich erwachte erst am nächsten Morgen, noch im Pullover und Hose, und sah einen halben Meter über mir einen ausgestopften Bussard im Sturzflug. Im Maul eine ausgestopfte Maus. Eine eingefrorene Szene aus dem Leben des Bussards und der Maus. Erst jetzt konnte ich das kleine urgemütliche Zimmer in Augenschein nehmen und fand mich in einer Art Tiergalerie wieder. Das Zimmer musste wohl heißen: „Szenen aus dem Leben der mitteleuropäischen Vogelarten“. Eulen mit ausgebreiteten Flügeln, Amseln mit offenen Schnäbeln und gereckten Hälsen, spielende Schwalben, Störche beim Wassertrinken - eine dreidimensionale unbewegte Dokumentation aus dem Tierreich. Auf dem Weg zum Frühstück durchquerte ich dann ganz andere Faunen. Der Gasthof glich einer Arche, nur dass die Tiere tot waren. Auch wenn sie quicklebendig aussahen. Er glich einer medialen Arche.

Als ich mich schließlich nach einer anderthalbstündigen Expedition durch den Wirtshof an den Frühstückstisch zu den anderen setzte, sah Mateusz mir meine Verwunderung an. Er sagte gleich, er genösse diesen Augenblick bei seinen Gästen besonders: „Diesen Blick mit dem sie am ersten Morgen den Frühstücksraum betreten, nachdem sie mit dem Licht des Morgens in ihren Zimmern aufgewacht sind und in die Augen eines Bussards geschaut haben, nachdem sie die erste Reise durch die Welten der Tiere gemacht haben, um sich hier an den Frühstückstisch zu setzen“. Selten würden sie viel reden, weil das Staunen bei den meisten noch lange anhielte. Nach dem Frühstück setzte er sich zu uns und fragte, was uns am meisten beeindruckt hätte. Und wie fast alle seiner Gäste antwortete ich: „Die Lebendigkeit und die Vielfalt“. Mateusz nickte und lachte. Manchmal saß er stundenlang im Dickicht und beobachtete die Tiere, wie er uns erklärte. Dabei fotografierte er sie, und erst, wenn er ein überzeugendes Foto aus ihrem Leben hatte, erlegte er die Tiere und brachte sie zu einem Präparator, der sie dann für ihn nach dem Foto konservierte. „Warum?“, fragte ihn. Er grinste und sagte: „Ich bin ein Jäger und Sammler. Ich liebe Tiere über alles und ich jage sie. Ich will sie bei mir haben. Auch wenn ich sie töte, will ich sie lebendig und heil. Ich ziehe ihnen nicht einfach das Fell ab oder hänge mir das Geweih an die Wand. Ich lasse sie unversehrt, ich respektiere sie.“ Das Aufblitzen in seinen Augen verriet mir aber auch: Das ist seine Art die Welt zu beherrschen. So beherrscht er das Leben.
Amazonka ist nur oberflächlich gesehen eine agrotouristische Einrichtung, eigentlich ist sie eine Sammlung, nein eine Dokumentation tierischer Lebensart und Arten. Und Mateusz ist nun mal kein Ehrenmitglied im Tierartenschutzverein, sondern ein leidenschaftlicher Jäger und Konservator über alle Kontinente hinweg, aber deswegen trotzdem ein Tierliebhaber und Aufklärer über das Leben der Tiere. Er arbeitet wie Noah, nur ohne biblische Hoffnung und mit medialen Absichten. Dieser Anblick, diese Erfahrung steuerte meinen Blick auf meiner Expedition durch Schlesien. 2000 Kilometer kreuz und quer. Mit diesem Bewusstsein erlebte ich die neuen und wenigen eingeborenen Menschen dort. Ich betrachtete jeden einzelnen immer genau und fragte mich insgeheim, welches Foto würde Mateusz wohl von ihm machen?