24.8.13

66. Filmfestival Locarno: Preise

Wir haben nicht alle Filme gesehen, die Preise bekamen, und hatten auch am Sonntag keine Lust, alle zu sehen – nicht nur, weil uns zu Ohren gekommen war von anderen ZuschauerInnen, dass etwa der Film „Historia de la meva mort“ (Albert Serra, Spanien/Frankreich), in dem ein alternder Casanova und Dracula aufeinandertreffen, furchtbar schlecht gewesen sei, wir hörten, er sei sehr langweilig ... nun, er bekam den „Pardo d’oro im Concorso Internazionale“, also den goldenen Leoparden. Vielleicht war er also doch gut, vielleicht .... wir können es nicht sagen. Was wir aber wissen, ist dies: Die Entscheidungen der Jury gehen selten mit den eigenen Präferenzen einher – außer letztes Jahr, als Père das Festival noch leitete und „La Fille de Nullepart“ den goldenen Leoparden gewann, den auch wir präferierten.

Die diesjährige Jury fällte unserers Erachtens seltsame Urteile, als Beispiel wollen wir einen Film erwähnen, der ebenfalls eine Mention Spéciale der Jury gewonnen hat. Manakamana. Handlung: Ein alter Nepalese sitzt mit einem Kind (seinem Enkel?) in einer Gondel, die aufwährts fährt. Sein Gesicht ist undurchdringlich. Nichts regt sich. Starre. Man vermutet, jemand habe in der Gondel eine Webcam aufgestellt. Die Gondel fährt und fährt (aus dem Programm weiß man, sie fährt  zu einem Tempel auf irgendeinem nepalesischen Berg) und fährt, in Echtzeit, rumpelt über Umlenkrollenmasten, fährt, fährt, nichts ändert sich in der Miene des Mannes oder des Kindes, nichts bewegt sich außer der Gondel, die Gondel fährt ins Dunkel der Station, man sieht Dunkel, Dunkel, hört Geräusche, Stimmen, das Licht ist miserabel. Nach einer Weile erscheint die Gondel wieder, auf dem Sitz ist jetzt eine Frau, die bergab fährt. In Echtzeit. Die Stellen, an denen es rumpelt, kennen wir jetzt schon. Echtzeit. Die Gondel fährt unten ein, Dunkel, Dunkel, es kracht und rumpelt, es rumpelt und kracht, die Gondel fährt wieder aus der Station nach oben, wieder sitzt jemand anderer in der Gondel und wieder geht es hinauf in Echtzeit. Undsoweiter. Wir wissen nicht, wieviele Personen noch auf- und abfuhren (da eine Fahrt ca. 15 oder 20 Minuten dauerte, waren es in zwei Stunden maximal acht), ob es noch lange so weiter ging, ob es meditativ sein sollte vielleicht, uns in dieselbe heilige Erwartung bringen sollte und Erleuchtung wie – möglicherweise - die Gondelpassagiere – wir wissen es nicht, wir waren nicht meditativ genug und verließen den Saal.
Auch eine Webcam hätte diese Arbeit problemlos erledigen können. Vielleicht aber haben wir irgendeinen glänzenden Schluss verpasst, wer weiß.

66. Filmfestival Locarno: Nachgedanken 2

Letzter Abend auf der Piazza, Verleihung der Preise. Yves Jersin, der bei der Preisverleihung (eben nur Mention Spéciale) auf die Bühne gerufen wurde, wandte sich überraschend ans Publikum, sehr enttäuscht, und berichtete, was sonst hinter den Kulissen geblieben wäre. Er hatte die Nachricht erhalten, dass er den silbernen Leoparden gewonnen habe, er (inzwischen 79!) habe sich in den Zug gesetzt, sei durch die ganze Schweiz gefahren, um dann unterwegs auf dem Handy angerufen zu werden, dass alles ein Irrtum sei und er „nur“ eine mention spéciale bekomme. Die Enttäuschung kann man sich vorstellen. Yarsin fand, man hätte die Arbeit seines Filmteams nicht entsprechend anerkannt – darüber mag man sich streiten (obwohl auch wir dieser Meinung sind), doch niemand hat per se Anspruch auf einen Preis. Aber dass die Festivalleitung sich bei dieser Gelegenheit nicht einmal öffentlich entschuldigte, ja dass der künstlerische Leiter bei der ganzen Zeremonie nicht auf der Bühne anwesend war – all das wirft Fragen auf und enttäuscht.
Yves Yersain verallgemeinerte seinen Fall etwas und griff heftig die Praxis der „Mention“ an, denn diese sei kein Preis, wobei sie aber so tue, als sei sie ein Preis, und diese Argumentation hat etwas. Jedenfalls hätte Yersain ein Preisgeld für seinen selbst finanzierten Film gut gebrauchen können.
Schade, sehr schade.

66. Filmfestival Locarno: Nachgedanken

Die 66. Ausgabe des Filmfestivals lässt uns zurück mit gemischten Gefühlen. Wir haben extrem viele langweilige Filme gesehen, viele schlechte Filmenden, zahlreiche viel zu lange Filme; wir sahen aber auch ein paar meisterhafte Filme von großer Tiefe wie „Tomogui“(Shinji Aoyama, Japan, von dem letztes Jahr der sehr schhöne Tokyo Koen lief,d er Schreibung sind wir nicht mehr sicher; über Tomogui werden wir noch berichten), „Tableau Noir“ (Yves Yersin, Schweiz), „Educação Sentimental“ (Julio Bressane, Brasilien) oder „Sadhu“(Gael Métroz, Schweiz), dessen bewegende Suche nach der Wahrheit und dem „richtigen“ Leben uns bis in die einsamen Höhen des Himalaya führt. Auch witzige, absurde Filme wie den koreanischen „Uri Sunhi“ von Hong Sangsoo (der den Preis für die beste Regie bekommen hat) haben wir gesehen oder „La Clé de la chambre à lessive (Floriane Devigne, Frédéric Florey, Schweiz/Frankreich), in dem ein Flur zur Bühne und eine Aufzugstür zum Vorhang wird, aus dem immer neue Akteure treten. Oder einen wunderbar poetischen Animationsfilm: „Hasta Santiago“, eine hübsche und sehr eigenwillige kleine Pilgerreise nach Santiago de Compostela (Mauro Carrara, Schweiz/Frankreich), so wunderschön gezeichnet! oder den anrührenden „La Nuit de L’Ours“ (Samuel Guillaume / Frédéric Guillaume, Schweiz)., ebenfalls ein Animationsfilm.
Aber keiner dieser Filme- außer dem koreanischen – hat bei der Jury Anerkennung gefunden. Was uns betrüblich scheint, denn gerade Tomogui ist unserer Meinung nach großes Kino, von einem Regisseur und Kameraleuten gemacht, die ihr Handwerk beherrschen. Für „Tableau Noir“ etwa hat das Filmteam die Kinder einer Bergschule ein Jahr lang begleitet, 4 Jahre lang hat der Regisseur geschnitten. Dafür hat er von der Jury lediglich eine „Mention speciale“ erhalten.Was auf der Piazza zu einem überraschenden Auftritt geführt hat; wir berichten im nächsten Post.

20.8.13

Locarno 66: Ehrenleopard für Werner Herzog

Am vorletzten Abend übrigens wurde Herzog mit dem Ehrenleoparden geehrt, der Beifall war nicht so lang anhaltend, wie man hätte meinen sollen. Wieder fragt man sich, was für ein Publikum ist eigentlich auf der Piazza. Unverzeihlich war aber das Programm an diesem Abend. Eben Herzogehrung, dann der Time-Film – und anschließend Fitzcarraldo auf der Piazza, das absolute Gegenstück. Diese Filme passten zusammen wie Feuer und Wasser.  Die Müdigkeit erlaubt uns im Übrigen nicht, nach der ktischigen Komödie noch Kinski als Fitzcarraldo zu betrachten.
Herzog brachte im Übrigen zwei seiner Kameramänner mit, lobte ihren Mut (leider vergaßen wir zu notieren die Namen), beschrieb zahrleiche gefährliche und absurde Situationen, die sie erlebt hatten, wie etwa die folgenden: Ein Piranha biss einem Kameramann einen Zeh ab, einer der anwesenden Kamermänner wurde während der Dreharbeiten auf einen Felsen gebunden, um entsprechend filmen zu können (bei Fitzcarraldo oder Aiguirre meinen wir usn erinnern zu können) - und über Nacht dort vergessen. Und manchmal vergisst man als ZuschauerIn, dass extreme Filme mit extremen Situationen und extremen Schauspielern und Regisseuren auch einen extremen Einsatz der Kameraleute und wahrscheinlich aller anderen Beteiligten erfordern. Ohne seine Kameraleute, die Herzog etwas großherrschaftlich als seine „Augen“ bezeichnete, ohne sie, so sagte er, hätten seine Filme nicht realisiert werdenn können, so dass die ihm zuerkannte Ehre eine gemeinsame Ehre sei. Zu dritt hielten sie den goldenen Leoparden – und er brüllte, wie Kinski, zumindest glaubten wir das einen Moment zu hören.

Locarno 66: Piazza Feel Good Movies?

Ein Festival der Geduld also in den Kinosälen. Es mag natürlich am Ausschnitt aus dem Pogramm liegen, den man gesehen hat. Von den Filmen auf der Piazza wollen wir jetzt gar nicht reden. Wenn alle so waren wie der vom vorletzten Abend, also lockere leichte Genre-Filme, dann fragt man sich. Besonders beim Film „About Time“ von Richard Curtis. Im Mittelpunkt steht Tim, der an seinem 21. Geburtstag erfährt, dass die Männer seiner Familie durch die Zeit reisen können. Diese Fähigkeit versucht er nun einzusetzen, um endlich eine Freundin zu haben, was ihm bisher nicht gelungen ist. Der Anfang war zwar heiter, aber zunehmender Kitsch ließ die Frage aufkommen, ob man auf der Piazza wirklich solche Feel Good Movies für das große Publikum zeigen muss. Welches Publikum eigentlich. Und kann man für solche Filme nicht auch ins heimische LUX- oder sonst ein Durchschnittskino gehen. Nun ja.

17.8.13

Locarno66: Tomogui

Im Übrigen ist unser Favorit TOMOGUI. Aber jetzt ist keine Zeit um zu berichten. Die letzten Filme sind zu sehen.

Locarno66: Melancholie


Am anderen Ufer, gegenüber von Locarno, ist erstmals eine gewissen Melancholie im Geflüster der Wellen zu hören, eine Spur von Abgesang: der Sommer schleicht sich unendlich langsam, langsam davon. (Vielleicht hätten wir Yuan Fang doch zu Ende schauen sollen). Morgens liegt der kleine Strand leer, nur Steine mit glänzendem Glimmer, Holzskultpuren, die angeschwemmt wurden beim letzten Gewitter. Der See murmelt und schäumt in unendlichen Variationen ans Ufer, ob die ständige Bewegung ihm von Natur zu eigen ist oder ob die wenigen Schiffe und Boote die Ausbreitung der Wellen verursachen , ist unklar. Das Wasser aber so klar, dass man bis auf den Grund sieht. Hätte ich eine Kamera würde ich (offensichtlich doch inspiriert durch Zhengfan Yang) filmen, wie die kleinen Wellen sanft am steinigen Strand auslaufen, in immer neuen Formen und Flüstertönen. Im Hintergrund Schiffsmotorlärm. Und folgerichtig: Ein Schiff legt am Steg an, niemand steigt aus, niemand steigt ein. Das Schiff legt ab, es fährt davon.

66. Filmfestival Locarno: noch ein wenig Geduld


Vorerst nochmal zum Thema Geduld. Zum Beispiel: Einfach die Kamera aufstellen und aus einer einzigen Perspektive das (Nicht)Geschehen filmen, das, was vor die Kamera kommt oder nicht kommt oder vor die Kamera geschickt wird, ganz klar ist das nicht, beispielsweise beim chinesischen Film Yuan Fang (Distant) von Zhengfan Yang, China. (Wie überhaupt ein Schwerpunkt dieses Festivals auf Dokumentarfilmen zu liegen scheint, ohne Informationen ist bisweilen nicht leicht zu unterscheiden, was Doku, was Fiction ist).
Zwei Filme verfolgten dieses Alles aus einer Perspektive oder zumindest fast alles aus einer Prespektive, alles, was vor die Kamera kommt. Im einen Fall ist das Ganze sehr gelungen (Der Wasch La Clé de la chambre à lessive, vermutlich Doku), im anderen fragt man sich. Dieser Andere ist Yuan Fang. Einer nach dem anderen verließen die Zuschauer fast fluchtartig den Saal. Vielleicht hätte meditative Versenkung geholfen. Die aber wurde erschwert durch den Soundtrack des Films, der ein originaler Soundtrack zu sein schien, ununterbrochener Straßenlärm, zumindest bei den zwei Szenen, die wir gesehen haben (insgesamt sind es 13). Sonst möglicherweise … als Beispiel sei eine Szene in einer Fußgänger-Unterführung geschildert. Eine leere Fußgänger-Unterführung, hässlich. Unendlich langsam bewegt sich ein alter, gebeugter Mann mit einem Stock durchs Blickfeld. Unendlich mühsam, unendlich langsam. Das hatte fast etwas No-haftes, aber das gehört ja zu einem anderen Kulturkreis. Das Geräusch des Stocks, der Schritte, Verkehrslärm. Sehr lange geht das. Sehr lange ist dann nur die leere Unterführung zu sehen. Nach langer, langer Zeit (schlechte Beleuchtung in der Unterführung, Verkehrslärm, Leere), nach langer. langer Zeit kommt ein Mann dahergeschlendert, legt Plakate auf den Boden, klebt sie langsam, langsam,eines nach den anderen an die Wand im rechten Blickwinkel. Geht langsam, langsam weg. Leere Unteführung, grünliches Licht, Straßenlärm- Alter Mann erscheint erneut von links, geht unendlich langsam zum Plakat, betrachtet es lange, lange, geht unendlich langsam weg, verschwindet aus dem Blickfeld. Langsam. Langsam. Leere Unterführung. Verkehrslärm. Leere. Einsamkeit. Nichts. Cut.
Vielleicht hat der Film was, so wie oben beschrieben. Aber man muss hart im Nehmen sein und vielleicht gestählt durch viele Stunden No-Betrachtung. Wir waren schon strapaziert durch viele Stunden Geduld bei anderen Filmen. Andere Szenen von Yuan Fang mögen angenehmer zu betrachten gewesen sein. Ein wenig mehr Geduld vielleicht, und alles wäre gut gewesen. Wir wissen es nicht, wir verließen den Saal.

66. Filmfestival Locarno: Festival der Geduld



Allmählich wird es etwas unübersichlich. All die Filme, die man nicht gesehen hat, all die Filme, die man gesehen hat und deren Bilder sich jetzt im Kopf vermischen. Kein Best Of, eher eine Abfolge von Stills oder Filmausschnitten, Impressions d’un festival de cinéma. Man könnte sagen, ein Festival der Geduld. Denn viele der Filme erforderten sehr viel Geduld, manchmal mehr, als man aufzubringen gewillt war. Und ein Festival der schlechten Filmenden. Da die Pellicula den Filmen kein gewissermaßen natürliches oder materialles Ende mehr auferlegt, scheinen manche Regisseure kein (gutes) Ende mehr zu finden. Aber, auch wenn es eine etwas abgenutze Weisheit ist, mehr ist nicht unbedingt mehr. Irgendwann gibt es in Filmen einen Punkt, von dem ab ein Film eigentlich zu Ende sein könnte: wenn es eigentlich nichts mehr zu sagen gibt, wenn man sich langweilt oder wenn die Handlung an einem irgendwie befriedigenden Punkt angekommen ist. Aber nein, Frame um Frame wird nachgereich – und jedes Mal denkt man, ah, das ist jetzt wohl das Ende, aber nein, Illusionen werden zerstört (wie etwa am Schluss des grandiosen aber doch irgendwie unverständlichen Films „Educação Sentimental“ von Julio Bressane, einem Altmeister des brasilianischen Kinos, in dem Szenen samt Kamera, Regiesseur, AssistentInnen etc. gezeigt werden), andere werden so explizit, dass aller Zauber verschwindet, viele, viele Filme sind zu lang oder zu repetitiv. Um ganz ehrlich zu sein, und das können wir ja in diesem Blog: selten haben wir uns mehr gelangweilt als bei Einigen der diesjährigen Festivalfilme. Aber natürlich gab es auch gute Filme, vermutlich sogar viele, denn wir haben ja nur einen Bruchteil gesehen, und davon gab es auch bemerkenswerte. Dazu später mehr.

11.8.13

66. Filmfestival Locarno: Ehrungen



Am diesjährigen Filmfestival werden viele Ehrungen vergeben, nicht nur für neue Filme und FilmemacherInnen, sondern auch für das Lebenswerk von SchauspielerInnen und RegisseurInnen. Darin spiegelt sich das Credo des neuen künstlerischen Festivalleiters Carlo Chatrian. Er will nach eigener Aussage nicht nur die gegenwärtigen FilmemacherInnen und die künftigen GewinnerInnen in den Mittelpunkt des Festivals stellen, sondern auch die Geschichte des Kinos und die Menschen, welche diese Geschichte gemacht haben. Bisher wurden bereits Anna Karina und Sergio Castellito für ihr Lebenswerk geehrt. Auch der Georgier Otar Iosseliani erhält einen Karrierepreis. Werner Herzog erhält den Ehrenleoparden und einige seiner Filme werden am Festival gezeigt, wie z.B. : Fitzcarraldo (unvergesslich, mit Kinski), Wo die grünen Ameisen träumen, Aiguirre, der Zorn Gottes, Auch Zwerge haben klein angefangen oder The Wild Blue Yonder.
Der Premio Raimondo Rezzonico geht an die Produzentin Margaret Ménégoz, der Excellence Moet & Chandon Award an Victoria Abril (man kennt sie v.a. aus Almodovars Filmen) und an Sir Christopher Lee (Dracula, James Bond, Herr der Ringe), der neue Vision Award - Electronic Studio an Douglas Trumball (die technischen Effekte in 2001: Odysee im Weltraum) und der Livetime Achievement Award Parmigiani an Jacqueline Bisset. Soweit zu den Stars und ihren Live Time Achievements.
Das Tolle am Festival aber sind vor allem die vielen neuen Entdeckungen, die man machen kann. Darüber in den nächsten Tagen mehr.

10.8.13

66. Filmfestival Locarno: Vijay and I. Mit Moritz Bleibtreu

Etwas verspätet gepostet, wie auch die beiden vorherigen Einträge …. Der Film „Vijay and I“ von Sam Garbarski hinterlässt einen etwas zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist er eine erfrischende Komödie, andererseits hätte man durchaus etwas tiefer ins Thema des Films einsteigen können: Kann ich ein/e andere/r werden als der oder die ich bin?
Moritz Bleibtreu, auf den der Film ganz und gar und vielleicht zu sehr zugeschnitten ist, spielt den mehr oder weniger erfolglosen Schauspieler Will, der es nur zur Hautprolle in einer Kinderserie gebracht hat, einem glücklosen grünen Kaninchen, dem „Bad Luck Bunny“. Im Kostüm dieses Kaninchens macht Bleibtreu eine wirklich komische Figur. An seinem 40. Geburtstag, den alle vergessen zu haben scheinen, ist er von seiner Rolle und seinem Leben endgültig so genervt, dass er aus dem Set davonläuft, mit knallenden Türen und im grünen Kaninchenkostüm. Mit diesem steigt er in einer urkomischen Szene schwerfällig ins Auto, schafft es, dass man ihm unterwegs fast unter dem grünnen Kaninchenhintern weg das Auto klaut  – und hier beginnt die klassische Verwechslungskomödie. Der Autodieb verunglückt, Auto und Fahrer verbrennen, Will gilt als tot – und klärt das Missverständnis nicht auf. Er beschließt, verkleidet zu seiner eigenen Beerdigung zu gehen, um wirklich zu erfahren, was seine Mitmenschen über ihn denken. Aber erfährt man es wirklich?
Wie die Filmbeschreibung im Programm verrät, scheint niemand Will zu mögen, nicht einmal seine Tochter und seine Frau. Eine gute Gelegenheit also für den Protagonisten, nicht nur zu erfahren – vielleicht – was die anderen von ihm halten, sondern auch ein anderer zu werden, da mit seiner „wirklichen“ Identität weder er noch seine Umwelt zufrieden zu sein scheint.

Wills indischer Freund, ein Restaurantbesitzer (genial und sehr komisch gespielt von Danny Pudi), hilft ihm, sich als Sikh zu verkleiden, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Ein guter Plot bis hier, ein rasanter Komödienbeginn, und doch wird hier schon die Schwäche des Films sichtbar: auf die ZuschauerInnen wirkt es zu Filmbeginn, an Wills Geburtstag, weniger so, als sei Will ein unangenehmer und unliebenswerter Typ, sondern ganz im Gegenteil. Es sieht so aus, als sei er der Liebenswerte (wenn auch nicht erfolgreich); Seine Famile und die Leute am Filmset (wo die Kaninchen-Filme gedreht werden) hingegen wirken derart herzlos, dass man als Zuschauerin nicht umhin kann, Mitleid mit Will zu empfinden. Es fehlt also in gewisser Hinsicht die Motivation für die Haupthandlung.
Später wird zwar klar, weshalb sich seine Umgebung so kühl benimmt: Niemand hat seinen Geburtstag vergessen, sondern seine motzige Tochter hat eine Überraschungsparty geplant. Dennoch: dieser Anfang ist irreführend und für den Zuschauer ist nicht nachvollziehbar, was an Will so furchtbar gewesen sein soll, dass niemand in seiner Umgebung ihn zu mögen scheint und er lieber eine neue Identität annehmen möchte.
Diese Schwäche zieht sich durch den ganzen Film. Auf der anderen Seite gibt es viele komische Szenen, und der Film bereitet Vergnügen. Sehr lustig die Beerdigung und die kleinen Reden, die über den vermeintlich Toten gehalten werden – aber auch hier ein wenig Enttäuschung. Der Film macht zu wenig aus der neuen Sikh-Identität des Helden. Und der Held erfährt nicht wirklich viel, außer dass niemand ihn mag und er als  schlechter, egozentrischer Liebhaber galt.
Da alles im Grunde auf den Sex reduziert wird, kann es nicht ausbleiben, dass Wills Frau sich vom Sikh sexuell angezogen fühlt, dass sie sich schließlich in ihn verliebt und dass das Kamasutra dabei eine wichtige Rolle spielt, obwohl man sich fragen darf, was das Kamasutra genau mit der kulturellen Identität der Sikhs zu tun hat.
Moritz Bleibtreu spielt seine Kaninchen- und Sikh-Rollen überzeugend – als eleganten, höflichen Sikh erkennt man ihn nach dem Bad Luck Bunny-Will kaum wieder, so gut ist die Maske, auch sein Spiel, er wirkt in seiner Sikh-Würde sehr authentisch. Aber es fehlt der Rolle vielleicht an einer tieferen Dimension, was aber nicht an Bleibtreu, sondern am Drehbuch liegen mag. Die Sache mit dem Sikh scheint eher ein Gag, aus dem die kulturellen Hintergründe weitgehend ausgespart bleiben. Hier hätten wir mehr erwartet. Aber es ist ja eine Komödie, wir sollten nicht zu viel verlangen. In der übrigens der weiter oben erwähnte Danny Pudi seine Rolle ausgezeichnet und unglaublich witzig verkörpert. Über die Frauenrollen kann man sich streiten; dass sie zu klischeehaft sind, darf man aber wohl behaupten.
Wir wollen hier nicht zu viel verraten, nur dazu raten, sich den Film selber anzuschauen, da er sehr erheiternd ist. Andererseits sollte man sich von dieser Komödie nicht zu viel erwarten. Einen philosophischen oder psychologischen Hintergrund erwartet man vergebens. Als leichte Sommerkomödie jedoch ist der Film empfehlenswert. Er macht auf jeden Fall Spaß. Und in Zukunft, das nehmen wir uns vor, wollen wir uns kürzer fassen.

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9.8.13

Filmfestival Locarno 2013: Vijay and I



Der „Piazza“-Film, den wir also nicht auf der Piazza gesehen haben: Vijay and I. Auf der Fevi-Bühne erschienen live der Regisseur und Filmbesetzung, und uns stellt sich plötzlich die Frage: Ist das nicht Moritz Bleibtreu? Er ists! Hätten wir mal ins Programm geschaut! Im Publikum schien sich im Übrigen ein Fanclub zu befinden. Später mehr zum Film.(Wir posten hier allmählich unsere Notizen von gestern)

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Filmfestival Locarno 2013 und das Wetter



Wochenlang glühende Hitze am Lago Maggiore, aber kaum beginnt das Festival, kommen mit großem Theaterdonner die Gewitter. Vielleicht angemessen für ein großes Ereignis. Die ersten Piazza-Abende fallen gewissermaßen ins Wasser. Gestern: Rauschender Regen, eine Piazza mit leeren Stühlen, ein bis zum letzten Platz gefülltes Fevi (für diejenigen, die es nicht kennen: eine Art Allzweckhalle mit etwa 2500 Plätzen, die jedes Jahr zum Festival-Kino umfunktioniert wird), gestern war nur noch ein Platz in der letzten Reihe der Tribüne zu ergattern, ein Fernglas für die Untertitel wär nicht schlecht gewesen. Preise wurden verliehen vom neuen direttore artistico, Carlo Chatrian, an Anna Carina und an den gut gelaunten Sergio Castellitto, den manche beispielsweise in „Bella Martha“ gesehen haben.
Wir erinnern und an das phantastische Programm des letzten Jahres, das noch Olivier Père gemacht hat. Wir sind gespannt, wie Carlo Chatrian das Festival prägen wird …